Sklaverei

Die Menschen sind Sklaven des Lebens; Sklaverei füllt ihre Tage mit Schmach und Erniedrigung und taucht ihre Nächte in Blut und Tränen.

7000 Jahre sind seit meiner Geburt vergangen, und seitdem sehe ich nichts anderes als unterwürfige Sklaven und gefes­selte Gefangene.

Ich habe den Osten und den Westen der Erde bereist; ich ließ mich im Schatten des Lebens nieder und in seinem Licht. Ich sah Nationen und Völker aus ärmlichen Hütten in prächtige Schlösser ziehen, aber ihre Nacken waren un­ter schweren Lasten gebeugt, ihre Handgelenke gefesselt, und sie knieten vor Götzenbildern. „Sklaverei“ weiterlesen

Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah

Von Haruki Murakami

Eines schönen Morgens im April komme ich auf einer kleinen Seitenstraße in Harajuku an dem 100%igen Mädchen vorbei.

Ehrlich gesagt, ist sie nicht besonders hübsch. Sie ist weder besonders auffällig, noch ist sie schick gekleidet. Ihre Haare sind hinten vom Schlaf verlegen. Sie ist nicht mehr jung. So an die dreißig wird sie sein, nicht eigentlich ein Mädchen. Aber trotzdem weiß ich schon aus fünfzig Meter Entfernung: Sie ist für mich das 100%ige Mädchen. Bei ihrem Anblick dröhnt es in meiner Brust, und mein Mund ist trocken wie eine Wüste. „Wie ich eines schönen Morgens im April das 100%ige Mädchen sah“ weiterlesen

Wann endet die Nacht?

Ein weiser Rabbi stellte seinen Schülern einmal die folgende Frage: „Wie bestimmt man die Stunde, in der die Nacht endet und der Tag beginnt?“ Einer der Schüler antwortete: „Vielleicht ist es der Moment, in dem man einen Hund von einem Schaf unterscheiden kann?“ Der Rabbi schüttelte den Kopf. „Oder vielleicht dann, wenn man von weitem einen Dattel- von einem Feigenbaum unterscheiden kann?“ Der Rabbi schüttelte wieder den Kopf. „Aber wann ist es dann?“ Der Rabbi antwortete: „Es ist dann, wenn ihr in das Gesicht eines beliebigen Menschen schaut und dort eure Schwester oder euren Bruder erkennt. Bis dahin ist die Nacht noch bei uns.“

Jüdische Erzählung

Liebe?

Liebe?
Liebe.
Zwei Wege führen zusammen.
Zwei Wanderer treffen sich.
Zwei Wege laufen parallel.
Gemeinsame Freude.
Gemeinsame Mühe.
Gemeinsame Rastplätze.
Gemeinsame Lagerfeuer.
Zusammen gehen.
Zusammen stehen.
Zusammen träumen.
Zusammen sein.
Zwei Wanderer gehen gemeinsam.
Zwei Wege laufen parallel.
Zwei Wege trennen sich.
Abschied nehmen?
Abschied nehmen.

Neue Wege gehen.
Spuren hinterlassen.
Nicht nur Staub auf ausgetretenen Pfaden.

Nur Wandlung ist ewig.
Und? Liebe!

 

 

CW 1974