In einem Forum, in dem ich mit diskutiere, kam heute die Frage auf, ob es denn wirklich stimme, dass in Deutschland die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Abseits der üblichen gegenseitigen Vorwürfe à la „ewiggestriger Kommunist“ oder „pöhzer Neoliberalist“ interessierten mich mal die selbst nachvollziehbaren Fakten. Gesagt, getan, Google angeschmissen. 😉
Als Maßstab dient der Gini-Koeffizient (ob und wie aussagekräftig der nun wirklich ist, lassen wir mal auf einem anderen Blatt stehen):
Der Gini-Koeffizient oder auch Gini-Index ist ein statistisches Maß, das vom italienischen Statistiker Corrado Gini zur Darstellung von Ungleichverteilungen entwickelt wurde. Ungleichverteilungskoeffizienten lassen sich für jegliche Verteilungen berechnen.
Der Gini-Koeffizient nimmt einen Wert von 0 bei Gleichverteilung und einen Wert nahe 1 im Monopolfall (d.h. bei maximaler Ungleichverteilung) an. Mit Gleichverteilung ist dabei nicht die Gleichverteilung im mathematischen Sinne gemeint, sondern eine Verteilung mit einer Varianz von 0. Im häufigsten Anwendungsfall, der Einkommensverteilung in einem Staat, heißt das, dass das Einkommen eines jeden gleich hoch ist, und nicht etwa, dass jede Einkommenshöhe gleich häufig ist.
So weit, so gut. Und wie hat der sich nun in den letzten Jahren entwickelt?
Erster Anlaufpunkt war das CIA World Factbook. Dort werden die deutschen Daten von 2006 mit den Daten anderer Länder aus ganz unterschiedlichen Jahren, auch den 90ern, verglichen. Das ist jetzt in Bezug auf die aktuelle Entwicklung nicht wirklich fruchtbar.
Also weiter: OECD
Vorab: Ich finde es völlig unbefriedigend, dass ich nicht alle Publikationen der immerhin steuer- und damit auch von mir finanzierten OECD vernünftig als PDF herunterladen kann, sondern sie mir in einem völlig unkomfortablen Flashreader ansehen oder kaufen muss.
Seit dem Jahr 2000 haben in Deutschland Einkommensungleichheit und Armut stärker zugenommen als in jedem anderen OECD Land. Der Anstieg zwischen 2000 und 2005 übertraf jenen in den gesamten vorherigen 15 Jahren (1985 – 2000).
Dazu gibt es auch eine schöne Excel-Tabelle: OECD Factbook 2010: Economic, Environmental and Social Statistics – ISBN 92-64-08356-1 – © OECD 2010
Nach etwas Rumsucherei finden sich vergleichende Daten auch für Deutschland von ca. 1984 bis 2008:
Ein Anstieg (mit Auf- und Abwärtsbewegungen) des Gini-Index von ca. 0.25 bis auf 0.30.
Nun wüsste ich noch gern, wie es denn seit 2008 weiter gegangen ist. Das Statistische Bundesamt beschert mir folgende Daten:
2008 – 30,2
2009 – 29,1
2010 – 29,3
2011 – 29,0
Auch die wahrlich nicht der sozialistischen Propaganda verdächtige Bertelsmann Stiftung spricht von einer deutlichen Zunahme der Armut und Ungleichverteilung:
Armutsvermeidung: Einkommensarmut hat in der Bundesrepublik in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutlich zugenommen. Besorgnis erregend ist das Phänomen der Kinderarmut. Rund jedes neunte Kind lebt unter der Armutsgrenze. Daher mangelt es vielerorts bereits an den elementaren Grundvoraussetzungen sozialer Gerechtigkeit, denn unter den Bedingungen von Armut sind soziale Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben kaum möglich. Zum Vergleich: In Dänemark, das neben Schweden und Norwegen die niedrigsten Armutsquoten im OECD-weiten Vergleich aufweist, sind lediglich 2,7 Prozent der Kinder von Armut betroffen.
[…]
Soziale Kohäsion und Gleichheit: In dieser Kategorie des Gerechtigkeitsindexes offenbaren sich für Deutschland verschiedene Defizite. Die Ungleichverteilung der Einkommen hat innerhalb der letzten rund zwei Jahrzehnte so stark zugenommen wie in kaum einem anderen OECD-Mitgliedsland. Mit Blick auf den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist eine solche Polarisierungstendenz bedenklich. Bei Fragen der Gleichbehandlung und der Vermeidung von Diskriminierungen herrschen in Deutschland zwar hohe rechtliche Standards. Doch gibt es in der Praxis durchaus Fälle von Diskriminierung, insbesondere aufgrund des Alters, des Geschlechts und von Behinderungen. Auch bei der Integration von Zuwanderern erhält Deutschland eher mäßige Noten; Zuwanderung wird in der öffentlichen Debatte häufig mehr als Risiko denn als Chance betrachtet.
Mal nebenbei: Die Auffindung solcher Daten könnte deutlich bürgerfreundlicher gestaltet werden.
Alles in allem fühle ich mich in meiner Annahme, eingangs gestellte Frage mit einem deutlichen „Ja“ zu beantworten, bestätigt. In den letzten 3 Jahrzehnten stieg der Gini-Index deutlich an, es kam zu einer steigenden Ungleichverteilung in Deutschland. Deshalb bleibe ich auch dabei: Umfairteilen tut Not.
Aber nicht nur das. Der oben genannte Bericht der Bertelsmann-Stiftung offenbart z.B. noch einen weiteren wichtigen Aspekt:
Bildungszugang: Trotz verbesserter PISA-Werte – das deutsche Bildungssystem hat unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit klare Defizite. Hier rangiert Deutschland im OECD-Vergleich nur im unteren Mittelfeld. Der Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen hängt stark mit ihrem jeweiligen sozioökonomischen Hintergrund zusammen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder aus einem sozial schwachen Umfeld durch Bildung befähigt werden, am gesellschaftlichen Wohlstand teilzuhaben, ist in Deutschland geringer als in vielen anderen OECD-Staaten. Die Investitionen in frühkindliche Bildung, einem der Schlüsselfelder zur Gewährleistung gleicher Lebenschancen, sind zudem noch stark ausbaufähig.
Fazit: Klarmachen zum Ändern! 😉