Die Mär von der sozialen Kirche(nsteuer)

So mancher, den ich kenne, zahlt Kirchensteuer nicht, weil er an Gott glaubt, sondern daran, dass dies Geld insbesondere auch sozialen Projekten der Kirchen zugute käme.

Doch nur etwa fünf Prozent der Kircheneinnahmen (Kirchensteuer und staatliche Zuwendungen aus Staatsverträgen usw.) werden für soziale Zwecke ausgegeben (Quelle). Die Finanzierung kirchlicher sozialer Einrichtungen folgt den gleichen Regeln wie die der kommunalen, ist über Leistungsentgelte wie z.B. Pflegesätze staatlicher Kostenträger geregelt. (Mit dem großen Unterschied, dass Mitarbeitende kirchlicher Einrichtungen Arbeitnehmer zweiter Klasse mit weniger Rechten sind, siehe auch hier.)

Auf die Frage “Die Kirche unterhält mit den Mitteln aus der Kirchensteuer ja auch viele soziale Einrichtungen. Einmal angenommen, die Kirche würde von den Einnahmen aus der Kirchensteuer nur einen sehr geringen Teil oder gar nichts für soziale Zwecke ausgeben. Wäre das für Sie persönlich ein Grund aus der Kirche auszutreten oder wäre das für Sie kein Grund?” antworten knapp 47% mit Ja – sie würden also austreten. Unter den 14-29jährigen sind es sogar 61%, unter den 30-44jährigen immerhin noch 56% (Quelle: fowid)

Matthias Krause kommt in seinem Artikel “Nur 5 Prozent Soziales” zu dem Schluss, dass die Allgemeinheit von Kirchenaustritten profitiert:

Kirchenaustritte entlasten die Allgemeinheit

Bereits mit der bisherigen Angabe von 10 Prozent ergab sich der Effekt, dass die Allgemeinheit finanziell von Kirchenaustritten profitiert: Denn während von der gezahlten Kirchensteuer nur 10 Prozent der Allgemeinheit zugute kommen, fließen von der eingesparten Kirchensteuer im Schnitt etwa 33 Prozent an den Staat – weil die gesparte Kirchensteuer ja besteuert wird.

Mit der neuen Angabe von 5 Prozent führt das dazu, dass von einem Euro gezahlter Kirchensteuer rechnerisch etwa 5 Cent direkt für soziale Zwecke ausgegeben werden, während von einem “gesparten” Kirchensteuer-Euro etwa 33 Cent der Allgemeinheit zugute kommen.´[…]

Thielmanns “Faustformel”

Thielmann erwähnt aber auch eine “Faustformel”, derzufolge sich jeder Kirchensteuer-Euro “verdreifache” soll. Selbst, wenn das so wäre, würde die Allgemeinheit immer noch von Kirchenaustritten profitieren, denn in dem obigen Beispiel würden dann wertmäßig 15 Cent aus der Kirchensteuer sozialen Zwecken zugute kommen, während dem nach wie vor die 33 Cent gegenüber stehen, die der Staat von der gesparten Kirchensteuer profitiert – und die er zur Kompensation der kirchlichen Zahlungen einsetzen könnte, ja müsste.

Wer austritt, kann selbst bestimmen, welchem guten Zweck er das so gesparte Geld spenden möchte.

Für weitere Informationen zu diesem Thema, finanzielle Kirchen-Privilegien usw., siehe auch: Kirche und Geld und Kirchenprivilegien abschaffen sowie kirchensteuer.de

“Kirchenrecht bricht Streikrecht”

Nennt man es hier. Da ich das Streikrecht nicht nur für ein Grundrecht (gemäß unseres Grundgesetzes) halte, sondern auch für ein Menschenrecht, spricht ein Freund meiner Meinung nach zu Recht von: "Kirchenrecht bricht Menschenrecht”

Worum geht es? Am 3. März entschied das Arbeitsgericht Bielefeld, dass Streikaufrufe in diakonischen Einrichtungen unzulässig sind.

Siehe auch: ver.di bedauert Entscheidung des Arbeitsgerichts Bielefeld

Streik in zwei Landeskirchen verboten:

Am 3. März 2010 urteilte das Arbeitsgericht Bielefeld in erster Instanz, dass ver.di in der Evangelischen Kirche von Westfalen und der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers und deren diakonischen Werken nicht streiken darf, um bessere Arbeits- und Lohnbedingungen zu erreichen. Betroffen sind in NRW auch die Einrichtungen der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe.

Die ver.di-Arbeitsniederlegungen im Mai und September 2009 hatten die Arbeitgeber beim Diakonischen Werk der EKD so unter Druck gebracht, dass sie in der Arbeitsrechtlichen Kommission am 19. November 2009 schließlich deutlich höheren Löhnen zustimmten. Damit die Diakoniebeschäftigten nie wieder so viel Druck ausüben können, haben die Arbeitgeber das weltliche Arbeitsgericht angerufen, um ihnen das Streiken auf alle Zeiten verbieten zu lassen. Diakonie-MitarbeiterInnen sollen in Lohnkonflikten dauerhaft unterlegen sein.

Weiter heißt es, Jürgen Kühling, Richter am Bundesverfassungsgericht a.D., zeige sich optimistisch für die kirchlichen ArbeitnehmerInnen:

“Das erstinstanzliche Urteil überrascht mich nicht. Es ist aber noch alles offen. Alle gehen davon aus, dass das Verfahren bis zum Bundesverfassungsgericht geht, und ich kann mir nicht vorstellen, dass das Bundesverfassungsgericht Arbeitsniederlegungen im Kirchenbereich einfach verbietet. Das Bundesverfassungsgericht hat die beiden Grundrechte der Koalitionsfreiheit und der Kirchenautonomie im Bereich der Religionsausübung abgewogen aufeinander zu beziehen; es hatte noch nie einen vergleichbaren Fall. Ich denke, Arbeitnehmer bei den Kirchen können optimistisch sein, was das Streikrecht betrifft.”

Der Vizepräsident des Diakonischen Werkes der EKD, Wolfgang Teske, begrüßt das Urteil zum Streikverbot:

"Mit der Entscheidung wird bestätigt, dass die Streikaufrufe in diakonischen Einrichtungen im Herbst letzten Jahres unzulässig waren und künftig nicht wiederholt werden dürfen"

In kirchlichen/diakonischen Einrichtungen gibt es keine Betriebsräte, sondern nur Mitarbeitervertretungen (MAV) – mit erheblich weniger Rechten (siehe auch hier).

Aber selbst diese wenigen Rechte waren den kirchlichen Arbeitgebern anscheinend noch zu viel:

Ganz neu: MAVen müssen über Lohnverhandlungen schweigen

Dass der Dritte Weg kein Ersatz für Tarifverhandlungen sein kann, zeigt das Urteil des Kirchengerichtshof der EKD vom Januar 2010. Danach dürfen Mitglieder von Mitarbeitervertretungen (MAV) die Beschäftigten weder zu Lohnforderungen befragen, noch über den Stand der Verhandlungen in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen informieren. Wie sollen die Beschäftigten künftig ihre Forderungen vortragen oder sich zur Annahme eines Verhandlungsergebnisses äußern? Die Mitglieder von Arbeitsrechtlichen Kommissionen hatten noch nie eigene finanzielle Mittel für solche demokratische Kommunikation – nun ist der Weg über die MAV auch noch versperrt. Auch Unterstützungsaktionen für die Arbeitnehmerseite in der Arbeitsrechtlichen Kommission dürfen MAVen nicht organisieren.

Der oben genannte “Dritte Weg” ist die Regelung der Arbeitsverhältnisse in der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland und soll eine einvernehmliche Gestaltung der Arbeitsvertragsrichtlinien und der Vergütung in einer paritätisch besetzten Kommissionen sicher stellen.

Dieser Dritte Weg gilt allerdings längst als gescheitert.

Bislang werden die Arbeits- und Einkommensbedingungen in den kirchlichen Einrichtungen von einer »Arbeitsrechtlichen Kommission« festgelegt. Diese ist zwar paritätisch mit Unternehmens- und Beschäftigtenvertretern besetzt, im Zweifelsfall entscheidet aber eine Zwangsschlichtung. Während die Kirchen ihren Beschäftigten in Krankenhäusern, Altenheimen und Pflegeeinrichtungen früher stets das Einkommensniveau des öffentlichen Dienstes zugestand, verschaffen sie sich seit einigen Jahren durch Lohnkürzungen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber kommunalen Häusern. Laut ver.di liegen die Verdienste Neueingestellter mittlerweile um bis zu 30 Prozent unter diesem Niveau.

(Quelle)

Beliebigkeitsklauseln und AVR-Flucht

Was Arbeitsrechtliche Kommissionen beschließen, wird immer häufiger von diakonischen Arbeitgebern ignoriert. Viele Landeskirchen haben Beliebigkeitsklauseln geschaffen. Danach muss sich ein Arbeitgeber nicht an das Arbeitsrecht des Diakonischen Werkes halten, bei dem er Mitglied ist – er muss nur irgendein kirchliches Vertragswerk anwenden.

(Quelle)

Immer mehr Beschäftigte des Diakonischen Werks weigern sich, den tarifrechtlichen Sonderweg der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mitzugehen. Das ist auf der Delegiertenversammlung zur Wahl der Arbeitnehmervertreter in der Arbeitsrechtlichen Kommission (ARK) des Diakonischen Werkes am heutigen Donnerstag deutlich geworden. […] Auf der Delegiertenversammlung in Hannover hatten zuvor Arbeitnehmervertreter aus regionalen Diakonischen Werken die weitere Mitarbeit in der ARK verweigert, indem sie keine Arbeitnehmervertreter wählten. Anlass waren die Erfahrungen der Beschäftigten mit jahrelangen Nullrunden in der Diakonie, die erst nach den von ver.di-Kolleginnen und -Kollegen durchgeführten Aktionen und Warnstreiks beendet werden konnten. Kritisiert wurde auf der Versammlung vor allem, dass in der Kommission ein fairer Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht möglich sei.

In der ARK werden die Regelungen der Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) für die etwa 150.000 Beschäftigten in den Diakonischen Einrichtungen im Rahmen des tarifrechtlichen Sonderwegs der Kirchen beschlossen.

(Quelle)

Das Grundgesetz gilt innerhalb kirchlicher Einrichtungen nur eingeschränkt. Die ArbeitnehmerInnen (Verwaltungsangestellte, HauswirtschaftlerInnen, ErzieherInnen, KrankenpflegerInnen, SozialarbeiterInnen usw.)  des nach dem Staat zweitgrößten Arbeitgebers in Deutschland müssen Einschränkungen ihrer individuellen Freiheiten hinnehmen (z.B. besteht für sie keine Religionsfreiheit, für den Fall des Kirchenaustritts wird mit Kündigung gedroht usw.) und haben weniger Rechte als Kollegen in anderen Wirtschaftszweigen, die durch Staatsverträge, die meist aus der Zeit der Weimarer Republik und der Nazi-Diktatur unverändert in die bundesdeutsche Verfassung übernommen wurden, geregelt werden.

Dies trifft Millionen Menschen. Obwohl die Finanzierung kirchlicher sozialer Einrichtungen den gleichen Regeln wie die der kommunalen folgt, über Leistungsentgelte wie z.B. Pflegesätze staatlicher Kostenträger geregelt ist, sind die dort arbeitenden Menschen Arbeitnehmer zweiter Klasse. Das muss ein Ende haben. Ordentliche Tarifverträge, Betriebsräte  und gleiche Rechte müssen her. Die Kirchenautonomie sollte sich auf den verkündigungsnahen Bereich beschränken und dieser sollte auch von den Kirchen selbst finanziert werden (und nicht wie bisher Bischofsgehälter vom Staat bezahlt werden etc.).

Die Staatsverträge mit den Kirchen gehören komplett auf den Prüfstand. Es geht auch nicht an, dass mit diesen jeder, egal ob anders- oder nicht gläubig, gezwungen wird, die Kirchen zu finanzieren. Das ist eine nicht zu tolerierende Benachteiligung anderer Weltanschauungen.

Man kann daher nur hoffen, dass ver.dis Weg durch die Instanzen von dem Erfolg gekrönt sein wird, den Jürgen Kühling weiter oben nennt und er dies nicht zu optimistisch sieht.

Wieder einmal zeigt sich, wie wahr Gerd Lüdemanns Worte sind:

Die freiheitlich-demokratischen Ideale und Werte, die sich jetzt auch im Grundgesetz finden, wurden während der Aufklärung gegen die sich auf Gott und Bibel berufenden Kirchen durchgesetzt. Und weder der Gott Jahwe des Alten Testaments noch der Vater Jesus Christi, noch beide in einer Person, noch Allah vertreten die Werte unseres freiheitlich-demokratischen Staates. Sie müssen sie erst noch erlernen.

Die Kirchen haben da noch viel zu lernen. Lehren wir es sie.

Wie sagte schon der olle Hillel sinngemäß: Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt?

Siehe auch:

BVG-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung

Die gespeicherten Telekommunikationsdaten sind “unverzüglich zu löschen” und “dürfen nicht an die ersuchenden Stellen übermittelt werden”.

 

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die Regelungen des TKG und der StPO über die Vorratsdatenspeicherung mit Art. 10 Abs. 1 GG nicht vereinbar sind. Zwar ist eine Speicherungspflicht in dem vorgesehenen Umfang nicht von vornherein schlechthin verfassungswidrig. Es fehlt aber an einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechenden Ausgestaltung. Die angegriffenen Vorschriften gewährleisten weder eine hinreichende Datensicherheit, noch eine hinreichende Begrenzung der Verwendungszwecke der Daten. Auch genügen sie nicht in jeder Hinsicht den verfassungsrechtlichen Transparenz und Rechtsschutzanforderungen. Die Regelung ist damit insgesamt verfassungswidrig und nichtig.

(Quelle: Pressemitteilung des BVG)

Mit zu den Gewinnern dieses Prozesses zu gehören, freut mich natürlich. Aber die Freude bleibt mir leider im Halse stecken.

Malte Welding trifft da mit seinem Beitrag “Wölfe weiter mit der Beaufsichtigung der Schafe beauftragt – Schafe äußern sich zufrieden” auch meine Bedenken gut.

Da hat niemand aus Versehen oder weil er es nicht besser wusste, ein grundgesetzwidriges Gesetz erlassen. Nein, da wurde ganz gezielt gegen das Grundgesetz verstoßen. Und denen, die diesen Verstoß verantworten, gibt man nun diese Angelegenheit wieder in die Hände:

Genau der Gesetzgeber, der die erste Attacke auf die Verfassung geritten ist. Das liegt in der Natur des Rechtsstaates. Dass aber DIESELBEN PERSONEN es noch einmal versuchen dürfen – das liegt daran, dass es bei uns leider nicht üblich ist, dass gezielter Verfassungsbruch personelle Konsequenzen hat. Personelle Konsequenzen gibt es bei vagen Hitlervergleichen, fragwürdigem Dienstwagengebrauch und Flugzeugmissbrauch – die Verfassung zu schänden ist unproblematisch.
Es müsste jetzt eine Rücktrittswelle ohne gleichen geben. Stattdessen werden die Wölfe weiter die Schafe hüten. Und die Schafe? Die feiern.

Stellen wir uns unser Grundgesetz als Damm vor, dann bedeutet dieses Urteil nur, dass ein gezielt gegrabenes Loch zugeschüttet wurde. Niemand hindert jedoch diese Leute daran, ein Loch genau daneben zu buddeln. Sie tun nicht nur das bzw. werden es tun, nein, sie buddeln laufend unzählige Löcher, im Wissen darum, dass ein paar mehr oder weniger unbeanstandet bleiben, viele kleine auch schnell ein großes werden und sie den Damm so schon noch zum Brechen bringen werden.

Die Flutwelle wird die meisten überraschen. Beim Feiern über ein gerade gestopftes Loch.

Die Konsequenzen zu ziehen, mit der Symptomdoktorei endlich aufzuhören und den Buddlern die Schaufel aus der Hand zu nehmen, das erscheint den meisten – auch dem BVG – wohl immer noch zu erschreckend. Dass die Alternative ein Schrecken ohne Ende ist, das wollen sie nicht wahr haben.