Kopfüberbaum

Kopfüberbaum - Baobab

Lesezeit: 6 Minuten

Es lag hier schon einige Zeit, dieses Buch, und ich hatte mir vorgenommen, es während meiner Urlaubstage zu lesen. Andererseits dachte ich mir dann: “Vergewaltigung, sexuelle Gewalt, willst du das wirklich im Urlaub? Es gibt ja wohl schönere Themen für diesen Zweck.”

Aber da war auch immer wieder diese Stimme in meinem Kopf: “Lies es! Es wird dir gefallen!” Wie sollte einem so ein Thema “gefallen” können? Zudem nicht als Sach-/Fachbuch, das leicht den Abstand wahren lässt, nicht beruflich, sondern als persönliche Geschichte, die sicher Resonanz in mir hervorruft. Was diese Stimmen in meinem Kopf eben manchmal so für seltsames Zeugs reden 😉

Wie allermeist bei mir siegte die Neugier über alle Bedenken. Die Lesebrille geputzt, den großen Thermokaffeepott randvoll mit dieser tiefschwarzen Köstlichkeit, machte ich es mir auf der Couch bequem: Bereit für ein neues Leseabenteuer 😉

Es wurde tatsächlich eins, schon nach wenigen Zeilen tauchte ich gebannt und gespannt in diese Geschichte ein, vergaß alles um mich und wollte nicht mehr aufhören zu lesen. Ich ging mit Thordis und Tom auf die Reise und ihre Reise wurde auch meine Reise. Dass dies so geschah, liegt sicher zu einem guten Teil in mir, meinen Erfahrungen und Erlebnissen, und wird bei anderen ganz anders sein, aber es liegt auch an der Art, wie diese Geschichte erzählt wird, den gewählten Worten, den sehr bildhaften Beschreibungen – alles in Allem: Mitreißend. Berührend. Mitfühlend.

Die Worte, die Gedanken, all dies weckte bei mir ein Gefühl von Vertrautheit und Verbundenheit. Fast ständig rief da etwas in mir “Ja!”, “Genau!” und “Sag ich doch!”. Und dies betrifft beide Autoren, ich fand – finde – meine Gedanken, meine Gefühle bei beiden wieder, konnte mit beiden mitfühlen, mich in beide hinein versetzen.

An dieser Stelle nun noch ein paar Zitate, wobei es mir schwer fällt, nur ein paar zu zitieren, da da so vieles ist, was ich dessen würdig finde.

Das, was wohl über allem steht, alles umfasst (und Gewalt meint hier für mich auch die Rache, der sehr verständliche Wunsch nach Rache nach einer Verletzung durch jemanden, des Weiteren betrifft es auch das sich selbst Verurteilen):

Gewalt ist nie eine Lösung – Verurteilung verhindert Verstehen, und ohne Verstehen werden wir nichts lernen.

Vergebung ist ein Thema, das mich, so lange ich eigentlich denken kann, sehr beschäftigt. Selten fand ich meine Ansichten dazu bei anderen wieder, aber so punktgenau meine Gedanken dazu treffend, wie Thordis Elva es hier schreibt, habe ich es bisher nirgendwo gelesen:

Vergebung ist die einzige Möglichkeit, sage ich mir, denn egal, ob er meine Vergebung verdient hat oder nicht, ich habe es verdient, meinen Frieden zu finden. Denn ich tue das für mich. Es macht mich wütend, wie die Religionen die Vergebung usurpiert und wie die selbst ernannten Hüter der Moral ein scheinheiliges Konzept daraus gemacht haben. Was für eine beschissene Sache, dieses Konzept vom Gewissen. Meine Vergebung ist weder selbstlos noch aufopferungsvoll und erst recht nicht heldenhaft. Sie wird nicht von Engelschören begleitet, und ich halte auch nicht die andere Wange hin. Meine Vergebung ist noch weißglühend vom Schleifstein, und sie dient dazu, die Bindung zu kappen, denn wenn ich das alles ein für alle Mal loslassen kann, wird es mir viel, viel besser gehen, davon bin ich überzeugt. Reiner Selbsterhaltungstrieb.

Das folgende Zitat lasse ich mir vielleicht mal auf den Unterarm tätowieren 😉

Verleugnung ist ein grausamer Lehrmeister.

Wir neigen dazu, Menschen mit Etiketten zu versehen, “Täter” oder “Opfer” in großen Lettern auf ihre Stirn zu brennen. Für immer. In alle Ewigkeit. Das wird aber weder der Sache noch den Menschen gerecht. Und hilfreich ist es schon gar nicht.

Damit die Menschen diese Art von Missbrauch besser verstehen können, brauchen sie ein dreidimensionales Bild der Täter und nicht das der zweidimensionalen stereotypen »Monster«, die durch diese Überhöhung auf ein Podest gehoben werden, dass man das eigentliche Verbrechen darüber fast aus den Augen verliert. Das würde eine Welle lostreten und würde unendliche viele Möglichkeiten eröffnen. Es könnte ums Gesamtbild gehen. […]

Aber genau deshalb ist es so wichtig, ein Zeichen zu setzen. Der Welt zu zeigen, dass Menschen, die an beiden Enden der Skala sexueller Gewalt waren, ob nun als Täter oder als Opfer, keine seelenlosen Ungeheuer oder irgendwie beschädigt sind. Sie sind Menschen, nicht perfekt, nicht unfehlbar, aber unverkennbar menschliche Wesen wie du und ich, mit eigenen Gedanken, einem Beruf, einer Geschichte, einem Lebensstil und ihren eigenen Überzeugungen. Menschen, die ihre Steuern bezahlen und ihre Familien lieben und Fehler machen und Nachbarn sind.

Zum Thema Macht, schön auf den Punkt gebracht:

Der Drang, Macht über jemanden auszuüben, ist Ausdruck von Angst, Gier und Eigennutz. Er erwächst aus der Angst vor dem, was du nicht weißt und nicht kontrollieren kannst, und basiert auf Unsicherheit, die dich blind macht.

Das passt doch auch wunderschön zum Thema Religionen, oder? 😉

Und noch etwas zur Gewalt:

Gewalt entsteht nicht in einem Vakuum. Sie hat soziale Gründe und Folgen, die wir in unsere Gespräche einbeziehen müssen. Verschweigen ist Teil des Problems.

Das Folgende ist auch so eine Stelle, wo ich aus tiefstem Inneren zustimmen kann:

Scham ist ein Gefühl, das keine Früchte trägt. Sie ist eine Brutstätte für Zerstörung, lässt einen verstummen und behindert das emotionale Wachstum. Wut ist ein aktives Gefühl, das sogar konstruktiv sein kann, wenn es als Ventil dient. Scham kann das nicht. Falls du Scham empfindest, musst du da anfangen, an dir zu arbeiten, und das Krebsgeschwür entfernen.

Ich nenne es lieber Zorn statt Wut. Nun gut.

Bevor ich jetzt doch noch in Gefahr gerate, das ganze Buch zu zitieren 😉 , zum Abschluss ein Zitat, das mich in meinen dunkelsten Zeiten, in denen ich mich am liebsten in den dunkelsten Ecken rum trieb und mich nur bei all den Freaks wirklich zu Hause und geborgen fühlte, gut beschreibt.

Lang, lang ist’s her. In dieser Zeit habe ich mindestens so viel, wenn nicht viel mehr über Menschen und auch mich erfahren, als im Psychologiestudium 😉 Und immer noch sind es die Freaks, denen ich mich verbunden fühle, zu denen ich mich auch – immer noch – zähle. Auch wenn die Qualität heute eine andere ist, das damalige Feeling ist nicht wirklich verschwunden, auch wenn ich mit Vielem von damals glücklicherweise längst abgeschlossen habe.

Nach und nach bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass ich ein Freak bin und nirgendwo hinpasse. Also habe ich angefangen, nach anderen Sonderlingen Ausschau zu halten, nach Typen, die aus den unterschiedlichsten Gründen Außenseiter waren – Drogenabhängige oder sonst wie labile Gestalten. Ich hatte gehofft, dass ich in ihrer Gesellschaft das Gefühl hätte, irgendwohin zu gehören und auch irgendwie ›normal‹ zu sein.

Und warum steht da oben jetzt als Titel “Kopfüberbaum”? Weil dieser, der Baobab, im Buch eine wichtige Rolle spielt.

Bei Wikipedia steht zu ihm:

Nach einer in Afrika weit verbreiteten Vorstellung riss der Teufel den Baum aus und steckte ihn anschließend mit den Zweigen zuerst in den Boden, so dass die Wurzeln nun in die Luft ragen. Einer anderen Erzählung zufolge wollte der Baum bei seiner Entstehung schöner als alle anderen Bäume werden. Als ihm dies jedoch nicht gelang, steckte er seinen Kopf in die Erde und das Wurzelwerk ragte gegen den Himmel. Aus dem Reich der Schöpfungsmythologie erschließt sich uns eine weitere Erklärung: Als am Anbeginn der Welt die Hyäne beim ersten Blick ins spiegelnde Wasser ihre eigene Hässlichkeit erkannte, war sie darüber sehr erzürnt. Sie riss einen Baobab aus und schleuderte ihn gen Himmel, um ihren Schöpfer zu treffen, der ihr dies angetan hatte. Der Baum jedoch verfehlte sein Ziel, stürzte zurück zur Erde, blieb dort umgekehrt im Boden stecken und wächst seither mit den Wurzeln nach oben.

Als Sitz von Göttern und Geistern spielt er außerdem in einer Reihe weiterer afrikanischer Legenden und Sagen eine Rolle.

[…] Orte mit “heiligen” Baobabs werden oftmals als Sinnbild des Garten Eden verwendet.

Das gefällt mir ungemein! 😉 Ich muss mal gucken, ob ich mir einen Kopfüberbaum als Bonsai ziehen kann 😉

Wer mehr wissen will, muss das Buch lesen, ich kann ja nicht alles verraten 😉

Last but not least nun: Von welchem Buch spricht die eigentlich? 😉 Dem hier:

Eine Frau, ein Mann, eine Vergewaltigung – und der schwierige Weg von Gewalt zu Versöhnung: Erstmals schreiben ein Vergewaltigungs-Opfer und ein Täter gemeinsam ihre Geschichte auf. Ein tief berührendes Memoir ist entstanden über Schuld, Vertrauen und Vergebung.

Thordis Elva, Tom Stranger: “South of Forgiveness”

Oder auf Deutsch: “Ich will dir in die Augen sehen” (Wieder mal ist der englische Originaltitel um Längen schöner … )

Bei TED gibt es einen knapp zwanzig minütigen Vortrag von Thordis Elva und Tom Stranger: >> Klick<<

Er schließt mit den Worten:

Der Großteil sexueller Gewalt gegen Frauen und Männer wird von Männern verursacht. Und dennoch sind ihre Meinungen zu diesem Thema viel zu schwach vertreten. Es werden hierbei jedoch alle benötigt. Denken Sie nur an all das Leid, das wir lindern könnten, wenn wir uns trauen würden, dem Problem gemeinsam gegenüberzutreten.

So ist es.

Beiden Autoren gebührt großes Lob, beide beweisen großen Mut und viel Stärke. Ein solch tiefer Einblick auch in das Innere eines Menschen, der einen anderen vergewaltigt hat, ist sicher bisher eine Rarität, bleibt es aber hoffentlich nicht.

We are stardust

“We are stardust … we are billion year old carbon” tönten Crosby, Stills, Nash & Young in “Woodstock” vor gut vierzig Jahren.

Bin heute Abend durchnässt, fiebrig und fröstelnd nach Hause gekommen und habe dann hoch erfreut fest gestellt, dass der Postbote bereits den neuen Hawking gebracht hatte 🙂

Habe mich dann schnell trocken gelegt und mich mit einem großen Pott heißer Ovomaltine in eine Decke auf die Couch gekuschelt und gelesen und gelesen und gelesen…

Jetzt hat mich der Hunger übermannt, aber gleich geht es weiter…

Wahrscheinlich schlafe ich hier irgendwann gleich ein und träume … stardust … billion year old carbon … 😉

Finger weg vom Fingerabdruck

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung lehnt das schwarz-rote Vorhaben ab, Personalausweisinhaber künftig biometrisch und elektronisch erfassen zu lassen. Die Aktivisten rufen zum Boykott der freiwilligen Überwachungsfunktionen auf.

Angriff auf Anonymität im Internet

Erklärtes Ziel des geplanten elektronischen Personalausweises ist es laut Innenministerium, „die nicht-anonyme […] elektronische Kommunikation zum Normalfall“ zu machen.[1] „Automaten und Internetangebote könnten wir zunehmend nur noch nutzen, wenn wir mit der Chipkarte unsere Identität offenbaren“, kritisiert Florian Altherr vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. „Es ist eine absurde Vorstellung, im Supermarkt oder am Briefkasten seinen Ausweis vorzeigen zu müssen. Mit dem elektronischen Personalausweis soll eben dies im virtuellen Leben Realität werden.“ Der Arbeitskreis rät allen Bürgern daher, die Aufnahme der „Authentisierungs- und Signaturfunktionen“ in ihren Ausweis abzulehnen, um die Verbreitung eines elektronischen Kennkartenzwangs zu verhindern. Stattdessen empfiehlt der Arbeitskreis, Zwangsregistrierungen bei kostenlosen Internetdiensten durch Angabe von Fantasienamen und -daten auszuhebeln.

Elektronische Auslesbarkeit

Nach den schwarz-roten Plänen sollen Personalausweise zudem elektronisch auslesbar werden, um die Daten – einschließlich des Fotos – abziehen, mit verschiedensten Datensammlungen abgleichen und in Datenbanken diverser Sicherheitsbehörden einspeichern zu können. Die weitere Verwendung der Daten ist nicht kontrollierbar. „Wir fordern Union und SPD auf, dieses europaweit einmalige Vorhaben aufzugeben“, erklärt Uwe Schulze vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. „Der Gipfel des Unfugs ist die freiwillige Aufnahme von Fingerabdrücken, die gerade Straftäter ja gar nicht treffen wird. Die zunächst freiwillige Abnahme soll nur den Weg für eine baldige Zwangsabnahme ebnen.“ Der Arbeitskreis empfiehlt allen Bürgern, der Abnahme des eigenen Fingerabdrucks zu widersprechen, weil er sonst im In- und Ausland aus dem Ausweischip elektronisch ausgelesen und unkontrolliert und ohne Zustimmung des Betroffenen gespeichert und weitergegeben werden kann.

Überwachungs- und Industriesubventionierungsmaßnahme

Der zur Rechtfertigung der Pläne genannte Gebrauch fremder Ausweise zur Identitätstäuschung kommt in der Praxis so selten vor, dass das Risiko des Einzelnen nicht einmal 0,01% beträgt. Alle bekannten Fälle von Ausweismissbrauch konnten schon anhand des Fotos oder sonst äußerlich bemerkt werden. Oftmals handelte es sich um Bagatellfälle, nie um ernsthafte Straftaten wie Terrorismus. „Für elektronische Ausweise sollen wir hunderttausende von Euro an Biometrieunternehmen zahlen, während wirklich wirksame Kriminalpräventionsprojekte und auch tausende von Stellen bei der Polizei seit Jahren gestrichen werden“, kritisiert Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. „SPD und Union betreiben in Wahrheit keine Sicherheitspolitik, sondern eine verkappte Überwachungs- und Industriesubventionierungspolitik.“

Hintergrund:

Der noch heute bestehende Zwang, dass jeder Bürger einen Ausweis besitzen muss, ist 1938 von der Regierung Adolf Hitler eingeführt worden, um die Bevölkerung besser kontrollieren und jüdische Mitbürger einfacher verfolgen zu können.[2] Anders als etwa in Großbritannien wurde der deutsche Ausweiszwang nach dem zweiten Weltkrieg nicht wieder aufgehoben. Bis heute werden zudem Personalausweis- und Passregister über die gesamte Bevölkerung geführt. Im vergangenen Jahr haben CDU/CSU und SPD einen deutschlandweiten elektronischen Zugriff auf die Register eingeführt. Seither sind Gesichtsbilder der gesamten Bevölkerung für die Polizei elektronisch abrufbar. Seit Mai 2008 ist eine Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsspeicherung von Passdaten und -bildern anhängig.[3] Gegen den Zwang zur Abgabe von Fingerabdrücken für Reisepässe liegt dem Bundesverfassungsgericht ebenfalls eine Verfassungsbeschwerde vor.[4] Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung fordert, den Ausgang dieser Verfahren abzuwarten, bevor die Erfassung der Bevölkerung in Ausweisen noch weiter ausgeweitet wird.

Quelle und weitere Infos: Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung

Die Tagesshow oder die Welt in 15 Minuten

Gerade habe ich mir einen Deutschlandradio-Beitrag angehört, auf den ich auf Mein-Parteibuch.com gestoßen bin, und der, wie auch ich meine, wirklich hörenswert ist: Die Tagesshow oder die Welt in 15 Minuten

Gleich anhören:

[audio:http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2007/07/10/dlf_200707101915.mp3]

Ein Buch ist vom Autor Walter van Rossum dazu ebenfalls angekündigt: Die Tagesshow. Wie man in 15 Minuten die Welt unbegreiflich macht