Gläubige und ungläubige Toleranz

Christentum sei eine “zweitausendjährige Erfolgsstory”, sagte da letztens jemand bei mir im Forum. Ja, ja, eine 2000jährige Erfolgsstory … Hier wird grad wieder eine Kirche abgerissen, andere werden umgewidmet, eine wurde letztens Synagoge, eine ein Restaurant … nur einige Beispiele aus der näheren Umgebung. Von den ständig sinkenden Mitgliederzahlen mal gar nicht zu reden. Seit dem das mit dem “und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt” nicht mehr so recht funzt und man mit Vorleben überzeugen muss, statt mit dem Schwert (und sei es auch nur das symbolische) zu bekehren, seit dem Menschen sich für oder gegen Glauben entscheiden dürfen, sinkt der Erfolg doch beträchtlich. Früher war die Entscheidung eben einfacher: Kirche oder Scheiterhaufen. Heute hat man da ja echt die Qual der Wahl 😉

Deshalb müssen wir natürlich etwas tun gegen diese freie Entscheidung für oder gegen Glauben. Denn, wie wir aus Erfahrung wissen, Vorleben ist nicht so wirklich unser Ding, die Scheinheiligkeit irgendwie nicht so wirklich gut versteckbar.

Also packen wir “die Erziehung zur Ehrfurcht vor Gott” wieder ins Schulgesetz (eines angeblich säkularen Staates mit Religionsfreiheit, die aber scheinbar nicht die Freiheit von Religion einschließt). Erklären Werte mal kurz zu einer christlichen Erfindung, die einen Gott bedingen. Schreien Blasphemie, wenn nur jemand wagt, mal eine andere Meinung zu haben, fordern mehr Kruzifixe und härtere Strafen für Gotteslästerung, und, und, und …

Dann war da noch die Schlecker-Filiale, die keine Kondome verkaufen darf, weil das Haus, in dem sie Räume gemietet hat, einer katholischen Kirchengemeinde gehört. Und ein bayrischer Ex-Ministerpräsident, der Janosch aus den Kinderzimmern verbannen will, und eine abgesagte Aufführung von Janoschs “Oh, wie schön ist Panama”. Nicht, weil in dem Stück oder sonst einem Kinderbuch von Janosch irgendwas Kirchen- oder Religionskritisches vorkäme, sondern weil der Autor sich zu seinem Unglauben bekennt. Also, nicht nur ungläubige Kinderbücher wollen wir verbieten, nein, es reicht nun schon, wenn auch nur der Autor ungläubig ist.

Ach ja und dann war da noch das: Wicked untruths from the Church (deutsch)

Alles nur einige wenige Beispiele der letzten Zeit. Ständig fordern Gläubige Toleranz für ihren Glauben. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich bin für Toleranz. Ausdrücklich. Selbstverständlich auch Religionen gegenüber. Ich toleriere auch solche religiösen Ansichten, die ich für ekelhaft und zutiefst unmoralisch und unethisch halte. Ich toleriere Fragen von Gläubigen an mich, wie sie denn bitte ihren Kindern händchenhaltende Homos erklären sollen und antworte geduldig mit: “Sag doch einfach, sie haben sich lieb. Das versteht jedes Kind.” Ich toleriere auch ihren verzerrten Gesichtsausdruck angesichts meiner Antwort.

Ich toleriere auch religiöses Blabla (Schleichwerbung) in öffentlich rechtlichen Sendern. Ich toleriere, dass ich am Karfreitag nicht feiern darf. Ich toleriere Glockengeläut. Ich toleriere, dass sich religiöse Menschen ständig irgendwo in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlen und entsprechende Verbote fordern und geht es auch nur um blödsinnige Werbung für Shampoos.

Ich toleriere, dass religiöse Menschen ständig verlangen, ihre Ansichten zu Familie, Liebe, Gut & Böse, Ethik & Moral etc. pp. hätten allgemein gültig für alle zu sein und müssten die Gesetzgebung beeinflussen (siehe auch hier). Wohl gemerkt, das Verlangen toleriere ich. Dass diesem nachgekommen wird, toleriere ich nicht mehr. Denn Macht (Gesetz) gehört nun mal nicht in den Schoß der Irrationalität.

Wie sieht es umgekehrt aus? Welchen Religiösen interessiert es, ob er meine Gefühle verletzt? Wer von ihnen nimmt auf meine Gefühle Rücksicht? Welcher Christ denkt darüber nach, ob ein ausgemergelter, qualverzerrter Körper an einem Kreuz an der Wand, am Wegesrand, im TV etc. pp. meine Gefühle verletzen könnte? Nicht nur meine.

Ich denke, es ist nun endgültig der Punkt erreicht, wo ich von religiösen Menschen (überhaupt all denen mit einem anderen Weltbild als meinem) genau den Respekt und die Toleranz einfordere, die sie ständig von mir einfordern. Denn beides ist keine Einbahnstraße. Und ich denke, das sollte nicht nur ich tun …