In der Diskussion um die Buskampagne möchte ich mal ein Statement eines Christen mir gegenüber aufgreifen, das exemplarisch für Viele zur Zeit mir gegenüber ist:
[…] Glaubensverachtend sind Aussagen, die absichtlich religiöse Gefühle von Mitmenschen beleidigen.
Während sich kaum ein Atheist dadurch beleidigt, gekränkt oder angegriffen fühlt, wenn jemand sagt, dass es einen Gott gibt (jedenfalls kenne ich keinen, der darüber nicht mit einem Schmunzeln oder leichten Kopfschütteln hinweggehen würde, ohne sich beleidigt zu fühlen), ist es im umgekehrten Fall nun mal anders. Gläubige fühlen sich nun mal beleidigt oder angegriffen, wenn man sich über das, was ihnen am wichtigsten ist, nämlich ihre Beziehung zu Gott, lustig macht. Sei dies in Form von Plakaten, die sie verhöhnen, indem sie ihnen sagen, ihr Gott existiere nicht, oder in Form von Aussagen wie deiner hier, dass dein Nichtglaube an Gott dadurch verletzt würde, wenn du ein Plakat mit der Aufschrift ‘es gibt Gott’ angegriffen würde.Die Nichtexistenz Gottes ist kein Glaubensinhalt von Humanisten. Insbesondere, da es auch christliche und agnostische Humanisten gibt. Ein Plakat mit der Aufschrift “Es gibt keinen Gott” ist also weder ein Ausdruck des Glaubens von Humanisten noch kann es von Gläubigen anders verstanden werden als als die Beleidigung, als die es gemeint ist.
Ein Plakat mit der Aufschrift “Es gibt Gott” drückt hingegen den Glauben von mehreren religiösen Gruppierungen aus und beleidigt dabei niemanden.Das dürfte als Unterschied der beiden Plakate eigentlich reichen.
Beginnen wir mit dem sich beleidigt fühlen. Das Problem dabei ist, Religiöse neigen dazu, sich ständig “beleidigt, gekränkt oder angegriffen” zu fühlen, durch so ziemlich alles, was ihrer rational nicht nachvollziehbaren Meinung, Weltanschauung usw. widerspricht. Die Grenze zwischen nicht beleidigend und beleidigend etc. ist dabei völlig willkürlich und irrational gezogen. Und sich beleidigt fühlen, heißt ganz und gar nicht, dass da objektiv auch eine Beleidigung statt gefunden hat.
Da gibt es Religiöse, die sich beleidigt fühlen, weil ich kein Kopftuch oder gar eine Burka trage, weil ich eine Schule besucht habe, es gibt Katholiken (Stichwort “Piusbrüder”), die sich beleidigt fühlen, weil ich als Frau eine Universität besucht habe, andere Christen ein paar Häuser weiter fühlen sich in ihren religiösen Gefühlen beeinträchtigt, weil ich eine Hose und nicht einen mindestens knöchellangen Rock trage, die nächsten durch gelebte Homosexualität, andere fühlen sich durch die bloße Tatsache, dass ich nicht an ihren Gott glaube, also meine pure Existenz beleidigt, wieder andere fühlen sich das durch die Evolutionstheorie (siehe z.B. hier) usw. usf. – die Liste ist praktisch endlos und mir praktisch unmöglich, all das zu befolgen, um niemand zu beleidigen. Zumal Vieles auch widersprüchlich ist, versuche ich Christen nicht zu beleidigen, beleidige ich damit Moslems und umgekehrt usw. usf. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Religiöse, die sich durch nichts dergleichen beleidigt fühlen.
Die einzige Lösung aus diesem Dilemma scheint zu sein, dass der öffentliche Raum, der Raum, der von uns allen gemeinsam genutzt wird (wenn ich eine Kirche, Synagoge, Moschee oder ein sonstiges religiöses Gebäude betrete, gebieten es Respekt und Anstand, dass ich mich dort den Gepflogenheiten gemäß benehme, kleide etc., außerhalb gelten aber andere Regeln), frei von jeglicher Weltanschauung gehalten wird. Religion und Weltanschauung reine Privatsache sind, Staat und Religion komplett getrennt. Das wäre eindeutig mein Favorit.
Das wollen Religiöse aber überwiegend nicht. Siehe ProReli-Kampagne in Berlin, siehe Kirchensteuer und zusätzlich dazu staatliche Finanzierung religiöser Aufgaben wie z.B. Bischofsgehälter, siehe das im Dritten Reich abgeschlossene Reichskonkordat, das bis heute gültig ist und so einiges an Steuergeldern auch von Atheisten und Andersgläubigen in die Kirchenkassen fließen lässt, siehe hier … Auch diese Liste ist sehr lang.
Erinnern wir uns nochmal: Die säkulare Buskampagne ist Reaktion auf eine christliche, in der Atheisten so allerlei schlimme Sachen angedroht wurden.
Nun zu der Behauptung, die säkulare Buskampagne verneine die Existenz eines Gottes. Erst einmal steht da nirgendwo: “Es gibt keinen Gott”. Das wäre nämlich, wie es die Aussage “Es gibt einen Gott” ist, eine unzulässige, unredliche Aussage.
Im Gegensatz zu der Aussage “Es gibt Gott” ist die Aussage der Buskampagne eine wissenschaftliche Aussage. Die Atheisten und Humanisten, die die Plakate der Buskampagne gestalteten, sind in ihrer Aussage deutlich toleranter und bescheidener als Christen. Sie postulieren eine bis zu ihrer Widerlegung (die bisher ausblieb) gültige wissenschaftliche Erkenntnis, die besagt, dass es keine Evidenz für die Existenz eines Gottes gibt. Deshalb schreiben sie nicht etwa absolutistisch “Es gibt keinen Gott” (wie es umgekehrt Christen tun), sondern: “Es gibt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott”. Sie sind also so redlich zu betonen, dass es da keine letzte Gewissheit gibt und sie, falls entsprechende Belege für die Existenz eines Gottes, eine Widerlegung also, eintritt, diese Aussage revidieren. Oder kurz: Im Gegensatz zu Christen schließen sie nicht kategorisch aus, dass sie irren könnten.
Ich schrieb zu dieser Thematik schon mal an anderer Stelle:
Denn wer sich auf Gott beruft, macht sich unangreifbar, benutzt im Gegensatz zum nicht religiösen Menschen nicht nur Argumente, die in der menschlichen Welt beheimatet sind und daher diskutierbar, abwägbar, kritisierbar etc. sind, sondern nimmt zusätzlich noch Argumente, die ihrem Anspruch nach einer höheren, eben göttlichen Ebene angehören und durch menschliche nicht aufgehoben werden können. Das ist eine – wohlwollend gesagt – erschummelte, pseudo-transzendentale Verstärkung dieser religiösen Argumente, die dazu führt, dass der religiöse bzw. religiös argumentierende Mensch (wie auch viele Esoteriker) vorgibt, über den Dingen zu stehen, über höhere Einsichten zu verfügen, und sich damit selbst überhöht und nicht religiöse Menschen übervorteilt und erniedrigt. Das ist wie Poker mit gezinkten Karten… Und genau das verhindert auch meines Erachtens einen fruchtbaren Dialog zwischen religiösen und nicht religiösen Menschen. Dies und die Argumentation mit dem Jenseits setzt jede rationale, menschliche Argumentation außer Kraft, ist schlussendlich eine nicht hinterfragbare und damit beliebige Argumentation.
Die Aussage “Es gibt Gott” beleidigt mich in der Tat nicht, höchstens meinen Intellekt. Aber diese Aussage zieht einen Rattenschwanz nach, der für mich – ein Blick in die selbst noch jüngere Geschichte und auch noch Gegenwart der Religionen zeigt das – im schlimmsten Falle lebensbedrohlich werden kann, zumindest diskriminierend (was er in diversen Fällen heutzutage ist). Dass zur Zeit überwiegend durch die Aufklärung weich gespülte Christen hierzulande das Sagen haben, heißt nicht, dass das immer so sein wird. (Man erinnere sich nur mal an die Osterpredigt Mixas. So viel Verblendung, Arroganz und Realitätsverleugnung muss man erst mal zusammen bekommen…)
Dass Fundamentalisten da keine Chance haben, sehe ich auch als meine Aufgabe an, sonst muss ich mich nicht beschweren, wenn sie eine bekommen. Und bezüglich Fundamentalismus bin ich auch nicht wählerisch, da beziehe ich mich nicht nur auf religiösen, ebenso auf atheistischen. Wenn Busse mit unserem Slogan führen und man wollte dann Gläubigen ihren verbieten, würde ich sofort Einspruch erheben und mich voll dafür einsetzen, dass auch Busse mit religiösen Slogans fahren dürfen.
Gut, checken wir nun mal die drei weiteren Aussagen der Buskampagne:
Ein erfülltes Leben braucht keinen Glauben.
Kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Oder möchte mir hier jemand ein erfülltes Leben absprechen?
Wohl gemerkt, da steht nicht, nur ein Leben ohne Glauben sei ein erfülltes Leben. Da steht auch nicht, Glauben verhindere ein erfülltes Leben. Da steht einfach nur eine Tatsache aus der Erfahrung von mir und meinesgleichen.
Werte sind menschlich. Auf uns kommt es an.
Man zeige mir bitte einen Wert, der nachweislich nicht von Menschen formuliert wurde. Man nenne mir ein Beispiel, wo es nachweislich nicht Menschen waren, die unsere Gesellschaft zu einer Lebenswerteren gestalteten. Diese Aussage diskriminiert weder Gläubige, noch spricht sie ihnen Werte ab (wie umgekehrt Gläubige gern mir).
Aufklärung heißt Verantwortung übernehmen.
Das beleidigt Christen? Dann beleidigt Kant auch Christen:
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andren zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht aus Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. ‘Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!’ ist also der Wahlspruch der Aufklärung.
Was ist eigentlich die Intention der Busaufschrift “Es gibt Gott” in Dortmund? Gleich gesinnten Mut machen? Oder Nichtgläubigen drohen?
Ich dachte bisher Ersteres. Aber wenn mir Christen nun umgekehrt sagen, die Intention meiner Kampagne sei ausschließlich, sie als Christ zu beleidigen und zu verhöhnen, macht mich das zumindest sehr stutzig, ob ich mit meiner ersten Annahme richtig liege. Wenn es aber Ersteres ist, nämlich gleich gesinnten Menschen Mut zu machen und ihnen zu zeigen, dass sie mit ihrer Weltanschauung nicht alleine sind, warum gesteht man dann mir – der säkularen Buskampagne – nicht das Gleiche zu? Was sagt mir das über Menschen, über ihr Bild von mir, ihren Respekt mir gegenüber, ihre Wertschätzung meiner, wenn sie mir nachsagen, ich wolle sie bloß beleidigen und verhöhnen? Wenn ich doch nichts anderes tue, als meiner Sicht der Dinge, meiner Lebenserfahrung Ausdruck zu verleihen? Was sie doch auch überall tun, in der Öffentlichkeit, in Presse, Funk, TV und auch auf/in Bussen?
Toleranz ist keine Einbahnstraße.
Mir selbst etwas zugestehen, das ich anderen nicht zugestehe, ist unredlich. Ist das christlich?